Zur Rolle der Programmierer und Entwickler bei künstlicher Intelligenz
2022.06.27 | Sven Köppel
Kaum ein Thema eignet sich in der modernen »Business-Welt« so sehr, die Gemüter zu erhitzen, wie künstliche Intelligenz. Hier glaubt jeder, mitreden zu können. Wenn Zukunftsforschende die Arbeitswelt von morgen erklären, machen sie das gerne auf eine polarisierende Art und Weise. Offensive Dramatik sorgt auch in den sozialen Medien für Aufmerksamkeit. So zitiert Peter Seeberg auf LinkedIn einen Artikel von einem IT-Journal: Künstliche Intelligenz beendet die Diktatur der Programmierer. Hier ein paar Zitate dieses Postings:
GPT-3 ist der Anfang vom Ende der heimlichen Diktatoren unserer Zeit: Programmierer, Tekkis, Nerds, Entwickler… „Das geht so nicht“ oder „Das dauert aber sehr lange“ sind die Standardsätze, mit denen Programmier-Erhabene jeden Tag Tausende innovativer Projekte verhindern, weltweit dürften die Schäden durch willkürliche Projektverhinderung in den sehr hohen Milliarden-Bereich gehen
Die Abhängigkeit der Innovatoren in Unternehmen von den Gralshütern der Codes ist ähnlich der eines Schwerkranken von einer künstlichen Beatmungsmaschine. Nur entscheidet hier ein/e Coding-ExperteIn darüber „was geht“. Will das Programmiergenie nicht, geht gar nichts. Wochenlang, monatelang. Da an den Schaltstellen der Chips sitzende Menschen perfekt darin sind, immer nur einen kleinen Teil ihrer Arbeit nachvollziehbar zu dokumentieren, sind sie meist unkündbar, selbst bei subtiler Arbeitsverweigerung. Denn mit ihnen geht oft wenig, ohne sie gar nichts
Statt dass wir uns von dieser feindselige Art beleidigt fühlen, sollen die Argumente im folgenden einmal sachlich auseinandergenommen werden.
Über Rollen- und Ausbildungswege in Firmen
Die meisten Firmen beschäften Menschen, die eine Vielzahl von unterschiedlichen Qualifikationen aufweisen. Sicherlich sind für Buchhaltung und Rechnungswesen andere Fähigkeiten nötig als für Personalwesen und Mitarbeiteraquise. Oft gehen Berufsbilder, Ausbildungswege und Charaktereigenschaften auch einher und führen zu prägenden Klischees, wie das einer verschlafenen Inventur, einer peniblen Sekretärin oder eines überheblichen Administrators. In solchen negativen Klischees ist viel Unglück verpackt, welches beteiligte Personen erfahren haben.
Der System Administrator Appreciation Day ist ein Versuch, Rollenbilder speziell im Zusammenhang mit Systemadministrator:innen zu überdenken und hinter die Kulissen zu schauen, warum sich Personen so verhalten wie sie es tun. Gerade Systemadministrator:innen stecken häufig in festen Strukturen fest, wo sie gegenüber verschiedenen Stellen widersprüchliche Ziele erreichen sollen. Das führt zu Frust, nicht zu letzt bei den Systemadmistrator:innen selber.
It-Sören, Quelle:@daskritzelt
Admins sind Hausmeister, schrieb ich neulich als Reaktion auf obige Karikatur. Nur gehen ihre Befugnisse in modernen Firmen noch viel weiter. In der Regel ist die Informationsabteilung (IT) deswegen -- anders als Hausmeister -- direkt der Geschäftsführung untergeordnet, der Vertrauensvorschuss ist sehr groß. Selbstredend, dass eine unzureichend ausgebildete Geschäftsführung vor ihrer übermächtigen IT Angst hat. Geholfen ist damit niemandem.
IT auf Augenhöhe
Einer unserer Leitsätze ist »IT auf Augenhöhe«. Als »Programmierer, Tekkis, Nerds [und] Entwickler« wollen wir die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, von denen wir beauftragt wurden und für die wir arbeiten zu selbstbewussten Individuen machen, die ihre informationstechnischen Probleme wenn nicht lösen, dann zumindest verstehen können. Natürlich fallen dabei auch Sätze wie »Das geht so nicht« oder »Das dauert aber sehr lange«. Sie müssen fallen, wenn der ehrliche Dialog über IT-Probleme und -Lösungen gesucht wird und ein Wissenstransfer stattfinden soll. Natürlich eignen sich solche Aussagen auch zur Verschleierung und Aufgabenverweigerung. Für IT-Kunden ist es manchmal schwer das zu erkennen. Dies ist ein typisches Problem der Beraterszene, bei welcher Kunden in einem ungesunden Abhängigkeitsverhältnis leben. Gute Berater:innen sorgen dafür, dieses Abhängigkeitsverhältnis aufzulösen, während schlechte es möglichst lange versuchen aufrecht zu halten.
Softwareentwicklung besteht zum überwiegenden Teil aus Kommunikation und nur zu einem geringfügigeren Teil aus technischer Umsetzung. Dieser Umstand ist vielen Entwickler:innen nicht bewusst. Zu Kommunikation gehört auch, anderen Menschen die eigenen Beweggründe darzulegen und ihnen zu ermöglichen, die gebauten Systeme zu verstehen. Diese Tätigkeiten werden meist unter Dokumentation zusammengefasst und sind für nachhaltige Softwareentwicklung unabdingbar. Es handelt sich um ein vergleichsweise einfaches Qualitätskriterium, mit dem man gute von schlechten Softwareentwickler:innen unterscheiden kann.
Können wir Software-Entwicklung loswerden?
Ein Versprechen des No-Code movements ist eine Demokratisierung des IT-Sektors. Dazu gibt es unglaublich viele Informationen im Netz, etwa dieses Interview mit Vlad Magdalin bei TechRepublic. No-Code hat erst einmal nichts mit künstlicher Intelligenz zu tun: Es gibt viele Plattformen, die unerfahrenen Anwender:innen versprechen, ohne Programmierung komplexe Aufgaben zu erledigen. Tatsächlich findet dort aber meist nur eine Verschiebung der Komplexität von einer Programmierung hin zu einer Konfiguration eines generischen Systems statt. Diese Konfiguration kann dann aber selbst so komplex werden, dass (im wissenschaftstheoretischen Sinne) wieder von einer Programmierung die Rede sein kann. Meines Erachtens handelt es sich daher bei diesen Versprechen um hohle Phrasen, die wenig Substanz haben. Für mich als Autor dieser Zeilen ist das im doppelten Sinne tragisch, da ich eine Befähigung der Nutzer im Sinne einer [Kant'schen Aufklärung sehr hilfreich finde. Nur sollte sie auch wirklich zu einem Ausgang aus der Unmündigkeit führen und nicht bloß in eine neue Abhängigkeit führen, wie es bei No-Code-Plattformen häufig der Fall ist.
Eine komplett andere Frage ist: Was kann künstliche Intelligenz dafür tun, das Programmieren zu vereinfachen? Diese Frage will ich recht kurz beantworten: Auf absehbare Zeit ist KI ein Spezialwerkzeug, für dessen korrekte Bedienung es eine solide Grundausbildung in statistischen Methoden benötigt. Eindrucksvolle Benutzerschnittstellen wie die Textschreibefähigkeit von GPT-3 oder die Bildsynthese von DALL-E scheinen meine These zu verneinen, sind aber tatsächlich eher Spielzeuge oder nur oberflächlich zu gebrauchen. Hier im Blog schrieb ich letztes Jahr über Github Copilot, wo die resultierenden Texte als Programmbauteile mindestens einen kritischen Blick vor der Weiterverarbeitung bekommen sollten. Vor wenigen Tagen war dieses Tool wieder in den Nachrichten, so titulierte Heise: Github Copilot lässt sich nun abonnieren. Das ist State-of-the-Art KI: Der Menschheitstraum, dass Computer sich selber programmieren, wurde noch nicht erreicht.
Fazit
Wenn man die letzten Jahrzehnte Softwaretechnik betrachtet, dann hat sich das Berufsfeld der Softwareentwickler:in gewandelt, vor allem ist es in die Breite gewachsen. Jobs, die früher noch nichts mit IT zu tun hatten, erfordern heute zumindest ein Grundverständnis. Es ist davon auszugehen, dass diese Entwicklung vorangehen wird. Mit diesem Trend geht auch ein gewisser Ausschluss von Lernunwilligen und -unfähigen einher, welches zu gesellschaftlichen Verwerfungen wie dem oben zitierten Artikel führt. Mehr als früher ist aber das Zwischenmenschliche nötig, denn Software und Unternehmertum benötigen Teamgeist. Moderne Unternehmen haben schon lange erkannt, dass BWLer und Informatiker sich nicht ausschließen, sondern zukunftsfähige Geschäftsmodelle in der Symbiose dieser Berufsgruppen liegen.