Werde Aufsichtsrat -- ein offener Brief an die Genoss:innen
2024.07.09 | Sven Köppel
Die DenktMit eG ist die Genossenschaft freiberuflicher IT-Expert:innen und überwiegend Softwareentwickler:innen. Wir sind junges Unternehmen, das während Covid-19 von 10 Personen gegründet wurde und mittlerweile 20 Teilhaber:innen sowie drei direkte Vollzeit-Equivalente Angestellte umfasst. Die DenktMit ist vieles: Ein Netzwerk von erfolgreichen und erfahrenen Unternehmer:innen, die teilweise auch eigene Angestellte oder als geschäftsführende Gesellschafter Unternehmen führen. Aber auch ein Auftragsvermittler, der Kundinnen ganze Teams zur Verfügung stellen kann. Wir machen derzeit reines B2B-Geschäft im Mittelstand und Industrie. Die DenktMit kann auch als Unternehmensberatung mit Fokus auf komplexen IT-Systemen verstanden werden – bei uns sind allerdings ausschließlich „Senior-Entwickler:innen“ im Projekt. Zusammenfassend also: Klasse statt Masse, ein Edelboutique von Profis. Und: Selbstverwaltung im genossenschaftlichen Modell, welches Partizipation und Basisdemokratie verspricht.
Das zieht kreative und fähige Menschen an, die aus dem Hamsterrad des Anstellungsverhältnisses ausbrechen wollen. Die Genossenschaft kann man als das beste aus einem Verein und einer Aktiengesellschaft verstehen. Sie hat mehr Organe als die typische „GmbH“. Die Genossenschaft benötigt einen Vorstand, der die Geschäftsführung ausführt und einen Aufsichtsrat, der die Gesellschafter bzw. Genoss:innen vertritt. Beides ist bei uns derzeit mit jeweils zwei Personen plus einem Vorsitzenden besetzt. Eine Aufsichtsratsposition ist in der DenktMit eG derzeit ein Ehrenamt, es gibt keine Aufwandsentschädigung.
Dieses Essay richtet sich an unsere Genoss:innen und soll Lust machen auf eine Position, die ich nun zwei Jahre inne hatte und zur Vakanz stelle.
Ein Blick in den Alltag im Aufsichtsrat der DenktMit eG
Das mediale Bild, das von Aufsichtsräten vermittelt wird, ist das von Menschen, die auf jahrzehntelange Erfahrung als „Wirtschaftsbosse“ zurückblicken. Auch Politiker und Professoren prägen das Bild, also Einfluss und Brillianz, herausragende Persönlichkeiten, Leistungsträger. Vor allem: Die klischeemäßigen „alten weißen Männer“. Mit all dem hat der Aufsichtsrat der DenktMit natürlich nicht viel zu tun – alleine deswegen, weil die DenktMit nach gängiger Definition einem KMU entspricht und nicht einer Aktiengesellschaft, über dessen Vollversammlung die Medien berichten. Aber natürlich auch, weil wir alle jung, hübsch und divers sind. Wie also sieht das Leben aus im Aufsichtsrat?
Die DenktMit eG ist ein modernes „remote-first“-Unternehmen, entsprechend funktioniert natürlich auch die Aufsichtsratsarbeit überwiegend asynchron. Videotelefonate machen wir im Schnitt einmal alle vier bis sechs Wochen und organisieren uns ansonsten lose in Chat-Kanälen, Tickets und Boards oder in Arbeitsdokumenten in entsprechenden Office-Clouds. Schätzungsweise haben wir alle paar Tage eine schriftliche Diskussion im Chat, wobei dies stark schwankt – je nachdem, ob gerade etwas wichtiges anliegt oder nicht. Es kann auch mal einen Monat lang gar nichts passieren und das ist auch okay so.
Schwerwiegende Konflikte, die kurzfristig intensiveren Austausch erfordern, kommen geschätzt höchstens einmal im Jahr vor. Natürlich hängt es auch davon ab, wie sehr man sich individuell „reinhängt“, ob man also partizipiert oder nicht. Das gleiche gilt allerdings in dem DenktMit-weiten Chat in jedem Channel. Ein Grundinteresse an den Belangen der eG sollte also auf jeden Fall vorhanden sein.
Abgesehen von diesem Grundrauschen ist es natürlich wichtig, dass der Aufsichtsrat seine satzungs- bzw. genossenschaftsrechtlichen Aufgaben erfüllt. Dazu gehören seltene regelmäßige Ereignisse wie die „Prüfung“ des Jahresabschlusses oder die Berichterstattung zur Generalversammlung. Wichtig ist, zu verstehen dass der Aufsichtsrat die Interessen der Eigentümer:innen, also Genoss:innen, im Innenverhältnis gegenüber den Handlungen des Vorstandes vertritt. „Innenverhältnis“ heißt dabei, dass dieser Umstand im Tagesgeschäft mit Kunden keine Rolle spielt, dort vertritt der Vorstand die gesamte Genossenschaft. Unser Aufsichtsrat hat meines Erachtens sowohl eine kontrollierende als auch eine vermittelnde Funktion. Wer verschiedene Perspektiven einnehmen kann und gut mit Menschen umgehen kann, bringt damit schon einige Kompetenzen mit.
Ich war zwei Wahlperioden (d.h. zwei Jahre lang) im Aufsichtsrat der DenktMit eG. In dieser Zeit wurde der Aufsichtsrat von dem gleichen Vorsitzenden geführt, während sich ein anderer Posten änderte. Ich hab damit in Summe drei Personen in der Rolle erlebt. Ohne Namen nennen zu wollen handelt es sich bei allen um sehr angenehme Menschen, die die Eigenschaft eint, besonnen, umsichtig und kreativ mit Themen und Problemen umzugehen. Es herrschte stets eine sehr professionelle, vertrauensvolle und zielorientierte Stimmung.
Persönliche Weiterentwicklung als Aufsichtsrat
Manche Menschen verbinden mit einem Aufsichtsrat auch einen „Ältestenrat“. Das muss er aber gar nicht sein. Für Anfänger:innen ist eine Aufsichtsratsposition in der DenktMit sehr attraktiv, weil sie hier sehr viel über den Aufbau von Unternehmen lernen können, ohne selbst direkt im Tagesgeschäft mitwirken zu müssen. Je nach Laune kann man sich im Aufsichtsrat in der (derzeitigen Größe des Unternehmens) als das „Korrektiv“ rein auf die beobachtende Position zurückziehen, aber auch mitgestalten, da der Austausch mit dem Vorstand offen und auf Augenhöhe stattfindet.
Der Posten des Aufsichtsrates wurde auch von einer Person bei Veranstaltungen als „Türöffner“ beschrieben. Es kann sich auf der Visitenkarte oder im Lebenslauf durchaus gut lesen, eine solche Position bei einem Unternehmen mit 20 Mitarbeitern innezuhaben. Wer vor hat, seiner „Karriereleiter“ etwas gutes zu tun, hat mit der Aufsichtsratstätigkeit eine gute Möglichkeit dafür, ohne sich dabei über die Maße verpflichten.
Keine Angst vor ersten Malen
Viele Menschen haben Angst davor, Fehler zu machen und trauen sich daher nicht, verantwortungsvolle Positionen auszuüben. Ich kann nur dazu ermutigen, diesen ersten Schritt zu machen. Eigentlich kann man im Aufsichtsrat nicht wirklich etwas falsch machen, da Beschlüsse ohnehin mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Die Angst einer „Haftung“ wie sie oft mit Geschäftsführungstätigkeiten assoziiert wird, ist im Falle des Aufsichtsrates unbegründet. Ein Versagen in der Position des Aufsichtsrates würde sich vor allem darin zeigen, dass der Aufsichtsrat geschlossen Fehler des Vorstandes nicht erkannt hat. Wahrscheinlich würde sie sich im individuellen Fall aber darin zeigen, dass der Aufsichtsrat nicht die personelle Stärke hätte, die er braucht, wenn ein Mitglied sich zu wenig einbringt. Die Haftungsfrage wird durch eine D&O-Versicherung, eine Art „Manager-Haftpflichtversicherung“, zusätzlich reduziert. Ich halte das Risiko für sehr gering, dass man im Aufsichtsrat der DenktMit eG für etwas belangt wird – vorausgesetzt man missbraucht das Amt nicht absichtlich auf eine offensichtliche Weise, die der Genossenschaft schadet.
Du bist nicht alleine
Im Aufsichtsrat der DenktMit steht man keinesfalls einsam an der Spitze. Im Gegenteil, man ist – wenn man das möchte – mittendrin unter den Genossinnen und Genossen und im Alltagsgeschehen. Der kollegiale Austausch muss dabei vor Rollen keinen Halt machen: So sind alle ehemaligen Aufsichtsräte immer noch Genossenschaftler und stehen mit Rat und Tat zur Verfügung. Natürlich ist auch der Vorstand nicht skeptisch sonder hilft vorbehaltslos, wenn es nötig ist. Keine Angst vor ersten malen! Jahresabschlüsse mit sechsstelligen Umsätzen sind für uns alle neu gewesen.
Ich gebe die Position auf, weil ich familiär stark eingespannt bin und auch die Kinderbetreuung in der letzten Wahlperiode sehr schwierig war (dank mangelhafter Personalausstattung in der Kita). So konnte ich beispielsweise die letzten Monate an den DenktMit-weiten Weeklys um 17 Uhr nicht mehr teilnehmen, weil zu der Zeit der Kindergarten stets geschlossen war. Die Aufsichtsratsmeetings haben wir in den späten Abendstunden gemacht, nachdem ich die Kinder ins Bett gebracht habe. Konzentrierte Meetings macht um 22 Uhr kaum noch jemand. Ich bin fast wöchentlich auf Geschäftsreise und hatte auch oft die Notwendigkeit, Meetings im Zug oder Auto zu machen – ebenfalls kein idealer Zustand. Aus all diesen Gründen möchte ich meine Position zur Wahl stellen und hoffe auf eine mutige Person mit Lust darauf. Letztes Jahr hatten wir zur Generalversammlung mindestens fünf Personen, die gerne wollten, und am Ende sogar eine Stichwahl. Ich wünsche mir, dass es dieses Jahr noch mehr Kandidatinnen und Kandidaten werden.